Ebenfalls traumhafte Szenen sind die Zeichnungen von Johanna Krimmel. Ihre sonderbaren und fremden Spielgefährten, die »Strange Playmates« erscheinen kleinen, sehr kleinen Kindern in nebelhaftem Umfeld mit leuchtenden Augen. Was auch als Zugabe für eine unheimliche Szene genutzt werden könnte, bekommt in Krimmels Arbeiten aber beinahe etwas Tröstliches. Die Spielgefährten der Kinder wirken teilnahmsvoll und beschützend. Der große Roboter reicht dem kleinen Mädchen liebevoll einen Finger (E.T. lässt grüßen), und das wollige, stachlige bauschige Etwas auf zwei Beinen beugt sich zu dem in sich versunkenen Jungen hinab.

Szenen aus dem Kinderzimmer zeigen auch die Bilder von Sebastian Gahntz. Allerdings ist seine Stofftierparade, die von kleinen Playmobilfiguren ergänzt wird, zum Hitlergruß angetreten und grüßt St. Adolf. Kriegsspiele scheinen auch im Kinderzimmer von Sigmund stattzufinden. Die Nettigkeiten der Kinderspiele kippen in gesellschaftliche Abgründe und konterkarieren gleichzeitig die Political Correctness des modernen Gutmenschen.

Die innere Welt der Kinder wird in den Arbeiten von Andrea Damp sichtbar. Mit Gummistiefelchen und Fischernetzen am Teich stehend, mit Spielzeug bewaffnet sind Kinder in den Wald eingedrungen. Sie befinden sich in der Natur, begegnen Natur. Die Bilder sind von Grün- und Blautönen geprägt. Pflanzenformen scheinen zu wuchern. Unwillkürlich stellt sich das alte Bild des Verlorenseins im Wald ein. Auf diesen Bildern sind die Kinder alleine, ohne Begleiter, aber sie scheinen ohne Angst und tauchen nicht nur in die äußere Welt ein, sondern auch in ihre eigene innere.

William Lamson ist ein Künstler, der selbst spielt und seine Spiele mit dem Video dokumentiert. Wie lange kann ich einen Ballon wieder hochpusten, bis er platzt? Wie lange kann ich einem umherwehendem Stück Folie folgen? Wie kann ich mit einer Flasche eine Linie in der Wüste ziehen? Es müssen solche und ähnliche Fragen gewesen sein, die ihn zu seinen Videos inspiriert haben. Er arbeitet mit der Natur und der Natur der Dinge – fließen, fliegen, schweben, gleiten, rollen. Dabei entstehen bildstarke, teilweise poetische, teilweise sehr lustige Sequenzen.

Bereits ein Klassiker ist die Video-Arbeit »Der Lauf der Dinge« von dem Schweizer Künstlerduo Peter Fischli und David Weiss aus dem Jahr 1987. Die Kamera folgt auf einer Länge von 20 bis 30 Metern einer Kettenreaktion, bei der Bewegungsimpulse durch eine Aneinanderreihung von improvisierten Vorrichtungen zur Erzeugung von Flammen, chemischen Reaktionen, Schaum und ähnlichem in Gang gesetzt werden, wobei ein Element jeweils den Impuls an das nächste weitergibt. Zur Verwendung kommen dabei schiefe Ebenen, Konservendosen, Reifen, Plastikflaschen, Feuerwerkskörper, Luftballons, die mit Gas gefüllt oder zum Platzen gebracht werden, und anderes mehr. Eine wichtige Rolle spielt die Verkettung grundlegender physikalischer Prinzipien wie unter anderem die Ausnutzung der Schwerkraft, der Zentripetalkraft, des Trägheitsmoments, des 3. Newtonschen Axioms und des Hebelgesetzes. Daneben werden diverse chemische Reaktionen genutzt, um die nächste Aktion auszulösen. Dazu werden beispielsweise verschiedene Flüssigkeiten gemischt, die sich ausdehnen, Gase erzeugen, Kunststoffe auflösen oder in Brand geraten. Der Lauf der Dinge erinnert an ein Dominospiel, bei dem – nachdem der erste Stein gekippt wurde – eine unaufhaltsame Bewegung durch das ganze Spiel hindurchgeht. Nur dass das Spiel von Fischli und Weiss ungleich aufwendiger und komplizierter ist. Die Freude an der Überraschung und an der Bewegung ist aber ganz die ewig kindliche.

Auch Benjamin Houlihan scheint mit seinem Material zu spielen. Seine Arbeiten sind plastisch, es sind organische Formen im Raum, und sie erinnern vehement an Knetmännchen, wie sie Kinder gestalten. Knallbunt türmt sich das Material, grün, blau, gelb, weiß, rosa, hellgrün, braun – der ganze Farbkasten scheint in einem Turm vereint. Farbtürme oder Farbhaufen, sie scheinen zu fließen, zu winken, sich aufzurichten, farbfrohe Ergüsse eines spielerischen Tuns.

Kinderspiele, so alt wie die Menschheit, Steine werfen, Seil springen, tanzen, toben und akrobatische Kunststücke, dass alles findet sich in den Bronzen von Hans Scheib. Der Künstler bezieht sich stärker als andere Künstler dieser Ausstellung auf Kunstgeschichte. In seinem Werk finden sich Zitate der antiken, gotischen und klassischen Kunst. Wesentlich bei ihm ist der Körper und seine Bewegungen und die Ausdruckskraft der Gesten, die das Leben zulassen. Kinder und Frauen als Protagonisten des Lebendigen, Bewegten, Spielerischen.

Bauklötzchen finden sich in den Türmen von Michel Meyer. Zu glatten Fassaden oder strukturell differenzierten Oberflächen hat er sie zusammengefügt. Wobei seine Bauklötzchen bei genauerer Betrachtung verschiedensten Ursprungs sind, und keinesfalls industriell vorgefertigt. So wurden auch Tischbeine und Dominosteine eingefügt. Vor allem aber schafft Meyer Bilder, Farb- und Formkompositionen, abstrakt, farbenfroh, rechtwinklig, klar eindeutig aber doch verspielt.

Anne Sommer-Meyer schließlich hat ein Bild aus 1056 Dominosteinen angefertigt. Dabei hat sie die Steine nach den Regeln des Dominospiels angeordnet, so dass eine große Komposition von 120 x 100 cm entstanden ist. Die Arbeit erscheint als ein abstraktes, konstruktives Bild, das mit seinen vielen hellen Punkten und rautenförmigen Mustern fast wie eine elektronische Erscheinung anmutet.
Die Ausstellung »Im Anfang ist das Spiel« fasst 21 künstlerische Positionen und macht erlebbar, auf welch vielfältige Weise dieses Thema in der zeitgenössischen Kunst präsent ist.

Stefanie Bickel,
Wiesbaden, Juli 2014






Johanna Krimmel: "Strange Playmates II", 2014
Bleistift auf Karton



William Lamson: "Emerge", 2007

HD-Video 2:10 Min.l



Benjamin Houlihan: Ohne Titel (BH.S 004.11), 2011
Gefärbtes Polyurethan



Michel Meyer: "Turm #5", 2008
Holz, Leim, Farbe



Anne Sommer-Meyer: "Squaredance 1", 2012
1152 Doppelneuner-Dominosteine

Sebastian Gahntz: "Kinderzimmer VI", 2014
Öl auf Nessel



Andrea Damp: "Petersilchen", 2014
Öl und Acryl auf Leinwand



Fischli und Weiss: "Der Lauf der Dinge", 1987
Kurzfilm 16 mm, Farbe, Ton, 30 min.



Hans Scheib: "Spiel", 2003
Holz, Farbe



Günter Beier: "6 bunte Luftballons", 2011
Öl auf Leinwand



Lucie Mercadal: "L'histoire de Joseph et Anna", 2013
Videoperformance, 4:10 Min., HD, Stereol