Fortsetzung



Sein und Schein – wenn "wahre" Schönheit zur "Ware" Schönheit wird.


Hinsichtlich unseres Körpers werden Wahrnehmung und Anerkennung durch Dritte vor allem durch Attraktivitätssteigerung erreicht. Um heute die besten Chancen zu haben gilt es, entweder "perfekt" schön oder möglichst anders zu sein. Das Diktat und die Definitionsmacht des Schönheitsideals obliegen dabei weitgehend den Massenmedien und Mitgliedern so genannter Peer-Groups.
Der Körper ist zum Werkzeug einer auf Wirkung berechneten Gestaltung, zu einer optimierbaren Materie geworden, und die fast beliebig käufliche Optimierungsmöglichkeit zunehmend zu einer Optimierungsnotwendigkeit. Wer heute nicht schön ist, ist quasi selbst schuld. In der Konsumgesellschaft wird die "wahre" Schönheit zur "Ware" Schönheit. Diese Verdinglichungstendenzen führen schnell zur Annahme, dass das Aussehen nicht nur ein Indikator für den sozialen Status, sondern auch für den Wert einer Person an sich ist: der Schein tritt zunehmend an die Stelle des Seins, Ethik wird durch Ästhetik und das Gute durch das Schöne ersetzt.

Selbstinszenierung und das Streben nach Individualität und Authentizität scheinen mittlerweile ein notwendiger Teil unseres Handelns zu sein. Wir wollen so oder so wahrgenommen werden – erst dadurch sind wir es. Erst durch das offensive und nachgerade exhibitionistische sichtbar machen des Andersseins (etwa über social media) wird es wahrnehmbar und sozial existent. Gleichzeitig ersetzt die Maskerade körperlicher Selbstgestaltung heute aber auch die wegbrechenden Grenzen zwischen privat und öffentlich, die den Grundriss der bürgerlichen Gesellschaft in der Vergangenheit ausgezeichnet haben: Denn hinter dem geformten Außenbild als Schild kann sich die "wahre" eigene Person auch verstecken bzw. vor Vereinnahmung entziehen.

Global ist das westliche Schönheitsideal auf dem Vormarsch und hat sich mit Hilfe der Massenmedien weitgehend durchgesetzt. Mediale Bildwelten induzieren einen Dauerkonsum hochunwahrscheinlicher, zumeist aufwändig präparierter Model-Körper aus aller Welt. Die allgemeine Abnahme persönlicher Interaktion zugunsten des Medienkonsums verstärkt zusätzlich die Tendenz, diese körperlichen Ausnahmeerscheinungen als Durchschnitt und Richtschnur ästhetischer Bewertung anzusehen. Der eigene und die realen Körper erscheinen deshalb regelmäßig nur noch als Mängelwesen, die dringend zu bearbeiten sind.


Macht uns der Körperkult krank?

Eine Nasenoperation als Abitur-Geschenk oder Mutter-Töchter-Paare, die gemeinsam zur Schönheits-OP gehen, sind heute keine Ausnahme mehr. Diskrepanzen und Störungen hinsichtlich der Selbstwahrnehmung oder Dysmorphophobien (die Angst, entstellt oder hässlich zu sein) prägen zunehmend unsere Gesellschaft und verursachen Krankheiten wie Anorexie, Bulimie oder Depressionen. Statistische Erhebungen über die letzten vier Jahrzehnte haben ergeben, dass die strukturelle Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen praktisch linear mit den Ausgaben für Schönheitsvermehrung angewachsen ist.
Was läuft hier schief in unserer Gesellschaft?

Anhand seiner neuen Themenausstellung "Die Leinwand des Leibes" möchte der Künstlerverein Walkmühle untersuchen, was den Blickwinkel zeitgenössischer Kunst auf den menschlichen Körper heute auszeichnet. Kritisiert oder kreiert sie ein neues Schönheitsideal? Ist der eigene Körper mittlerweile zur Leinwand, zum materiellen Artefakt und sind wir selbst zum Schöpfer und gleichzeitigen Inhalt unseres ganz individuellen Kunstwerks, zu einer neuen und ganz anders gearteten "Sozialen Plastik" geworden?
Im Dialog mit den in der Ausstellung gezeigten Positionen und anhand von Performances, wissenschaftlichen Vorträgen und weiteren Begleitveranstaltungen sollen im Rahmen der Ausstellung ein Diskurs über das Thema Körperkult in Gang gesetzt, gesellschaftliche Zusammenhänge erkannt und Wahrnehmungs- sowie Handlungsgewohnheiten in Frage gestellt und überdacht werden.


Text: Wulf Winckelmann




Einladung zum Download:





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Julian Opie: Aus der 10-teiligen Arbeit "Watching Suzanne (front)", Wandrelief aus Acryl, 2006



Justine Otto: Ohne Titel ("Sue"), Öl auf MdF, 2012



Mel Ramos: "Hav-a-Havana #1", Farblithografie, 1996



Anna Sasse: Aus der Videoperformance "Gereinigt. Gereinigt. Gereinigt", 2011



Jan Schmelcher: "I'm Utsi the Ox", Acryl, Plakatabriss auf Holz, 2011



Brele Scholz: "trapeze act I", Ahorn, 2012



Deborah Sengl: "Hometrainer" aus der Serie "All you can lose", Acryl auf Leinwand, 2009



Annegret Soltau: "Ich überstochen", s/w Fotografie, Nadeln, 1991



Anne Sommer-Meyer: "Disobient Sexy schoolgirl" aus der Serie "Working Girls", Siebdruck auf Spiegel, gerahmt, 1998/99



Elena Steiner: "Nr. 21 – Auslaufmodell", Acryl auf Leinwand, 2012



Ivonne Thein: "Zweiunddreissig Kilo (7)",C-Type-Print, 2008