Auch andere Künstler arbeiten mit dem Motiv des Sich-Entziehens, Verschwimmens, des Vagen und Unbestimmten. Die Unschärfe auf den Arbeiten von Franzikus Wendels rückt die Dinge in die Ferne. Der Betrachter kann sich ihnen nicht nähern, er bleibt - ob er will oder nicht - in der Distanz gefangen. Zu erahnen sind auf seinen Bildern Stadträume. Wohnsilos, Parkhäuser, Spiegelungen in Fenstern und im Wasser, verheißungsvoll leuchtende Lichter in der Ferne. Wendels malt die Nacht. Die rot, blau, braun und grün leuchtenden Scheinwerfer und Fenster, Lampen- und Deckenbeleuchtungen, die dem Betrachter Innen- und Außenräume vorgaukeln, leuchten immer im Dunkeln. Seine oft ausschnitthaften Szenen erinnern an die Kameraführung im Film. Es sind sehr subjektive Sehmomente, die Bewegung suggerieren, einen Weg durch die Dunkelheit, eine Suche, ein Sichtasten durch eine undeutliche schweigsame Welt.

Ganz anders in den Fotocollagen von Helle Jetzig. Bunt, plakativ, belebt sind seine Straßen und Plätze. Die Stadt ist bei ihm ein Ort der Träume, nicht der Albträume. Ikonen des American Way of Life, der Werbung, der Architektur, der Fortbewegung und der Erotik werden zu Panoramen des City-Lifestyles montiert. Die Perspektiven und Bildebenen wechseln so rasch hin und her wie das Auge des suchenden Passanten auf den Straßen von New York.

Auch auf den Bildern von Michael Bach sind Städtepanoramen zu erkennen. Häufig zeigt er uns den distanzierten Blick von oben auf eine Architekturlandschaft, in der manchmal Gebäude oder Silhouetten zu identifizieren sind, zumeist jedoch verschmilzt die urbane Dichte in einem vor- und hintereinander von historischer und aktueller Bebauung zu einem Chiffre von Metropole. Die Straßen und Plätze sind menschenleer, überwölbt von einem indifferenten grauen oder graublauen Himmel. Phänomene wie Reflexionen, Spiegelungen und Lichtführung setzt der Künstler geradezu altmeisterlich ein, die Strukturen der modernen Glasfassaden geometrisieren seinen Raum.
Der Umgang mit dem geometrischen Spiel von Flächen und Perspektiven ist auch in der Malerei von Ines Doleschal wesentlich. Sie reduziert die architektonischen Elemente – Wände, Böden, Geländer, Tür- und Fensterstürze – auf farbige Flächen. Ohne Binnengestaltung, ohne Dekor, manchmal durch Farbverläufe gestaltet, manchmal als plane Fläche, verwandeln sich Gebäude und Plätze, Innen- und Außenräume in sachlich geschilderte, gleichzeitig aber auch futuristisch erscheinende geometrische Körper.

Schlichte Körper, geometrisch zusammengestellte Flächen, die Urform des Hauses - Wände, Giebel, Dach -, geschlossen, ohne Türen oder Fenster, finden sich im Werk von Hermann Weber. Die Beziehung zwischen Mensch und Haus spielt für Weber eine wesentliche Rolle.
In seinen Ölzeichnung finden sich immer wieder Menschen, die kleine Häuser umarmen. Häuser, die wie Modelle der realen großen Architektur erscheinen oder wie die Objekte des Künstlers. Schützend werden sie von den Figuren gehalten als seien sie kostbare Fracht. Tatsächlich titeln die aus Blei und Holz gearbeiteten Objekte »Schrein« oder »Großer Schrein« und verweisen auf eine Urbedeutung des Hauses. Das Umschließen und Schützen. Ein Schrein als Aufbewahrungsort für ein religiöses oder kultisches Element ist ein Miniaturhaus für ein Artefakt der Gottheit. Das Haus somit ein Bindeglied zwischen der (vergänglichen) Welt des Menschen und der (ewigen) Dimension des Kosmos.

In ganz anderer Form präsentiert sich die Gemeinschaftsarbeit von Christiane Erdmann und Karim Teufel. Was bleibt, wenn der Mensch geht? Spuren. Durch die Bearbeitung von Bodenbelägen erscheint der Eindruck eines bewohnten Raumes. Nur nicht zu unseren Füßen, sondern weit über unseren Köpfen an der Wand. Das, was vorne und hinten war, ist jetzt oben und unten. Die mit Abstand größte Arbeit dieser Ausstellung zeigt den Grundriss einer 2-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad, wie er sich nach einer langen Phase der Bewohnung präsentieren könnte. Auf 45 qm (minus 10%, der Größe des Ausstellungsraumes geschuldet) kann ein ganzes Leben stattfinden – in ihrer jetzigen Erscheinungsform verwandeln sie sich in ein gewaltiges Fresko.

Christine Erhard irritiert mit ihren Fotografien den Blick des Betrachters. Auf den ersten Blick verständlich erscheinen Elemente wie Treppenaufgänge, Gebäudeteile und Perspektiven. Rasch bemerkt der Betrachter jedoch, dass ihn sein Auge genarrt hat. Er erkennt Alltagsgegenstände zwischen den architektonischen Elementen. Schubladenelemente, Keramikteller oder Spülschwämmchen mogeln sich in die Anordnung von Häusern und Plätzen. Nichts ist wie es scheint.

Zumindest oben und unten bleiben dagegen in den Bildern von Dorothea Gelker an ihrem gewohnten Platz. Die typisch amerikanischen Großstadteindrücke von Skyscrapern und Wassertanks auf den Dächern fügen sich zu einem dichten Muster, das geradezu stofflich die Kleinteiligkeit der architektonischen Formen und das himmelwärts Strebende ineinander webt.

Auch in den Arbeiten von Marina Herrmann sind die Großstadt und die moderne Architektur mit der Kleinteiligkeit ihrer Fassadenstrukturen, teilweise auch mit der Farbigkeit ihrer Reklametafeln, präsent. Allerdings gesehen durch die Spiegelung einer weiteren Fassade, nur als Reflektion und Schein. Unscharf und verzerrt, gebrochen und fragmentiert, werden die monumentalen Gebäude zu Streiflichtern einer subjektiven Wirklichkeit, die jedoch die Dichte zeitgenössischer Megacitys erahnen lässt.

Gespenstisch leer sind die Stadträume, die Stefan Hoenerloh erschafft. Die Architektur wirkt historisch, die Gebäude, Straßen, Plätze, Gassen, Galerien und Brücken jedoch verlassen, starr, still und leer. Unwillkürlich assoziiert man eine Katastrophe, die alles Leben von diesen Orten vertrieben hat. Die Überreste einer langsam zerfallenden Zivilisation. Da die Architekturzitate Hoenerlohs mit ihren Giebeln und Vorsprüngen uns jedoch so bekannt vorkommen, dass sie an reale Städte erinnern, bekommen die Bilder einen futuristischen Aspekt. Denn noch sind unsere Orte ja belebt, noch ist die Kultur nicht tot.

Werner Pokorny und Andreas Welzenbach arbeiten dreidimensional. Ihre Arbeiten sind plastisch als Körper im Raum präsent. Werner Pokorny präsentiert drei Arbeiten aus Stahl. In jeder seiner Skulpturen kann man die Form eines Hauses erkennen. Reduziert, vereinfacht. Giebel, also Dach und Wände. Das–ist-das–Haus–vom-Ni–ko–laus. Wer kennt den Kinderreim nicht? Dreieck, Gerade, Rechteck und Kreis. Pokorny arbeitet mit den Ur-Formen der Geometrie, aus denen sich alle anderen Formen erschließen lassen. Durch das Weglassen alles Überflüssigen stehen seine Häuser wie Chiffren für eines der archaischsten Bedürfnisse des Menschen – ein Dach über dem Kopf zu haben. Gleichzeitig entwickeln sich aus den Grundformen des Hauses Arbeiten, die beinahe abstrakt zu nennen sind. Mit den bildhauerischen Grundlagen des Innen und Außen, Lasten und Tragen, mit der Materialsprache des Corten-Stahls schafft Porkorny mächtige dreidimensionale Zeichnungen im Raum.

Andreas Welzenbach dagegen erzählt Geschichten und Geschichte. Seine oft witzigen und niedlich anzusehenden Holz- (manchmal auch Stein-) Skulpturen sind präzise und bitterböse Beobachtungen und Gesellschaftschilderungen. In dieser Ausstellung zeigt er Arbeiten, die mit Worten und Doppel(be)deutungen über sich hinausweisen. Die feste Burg, die unser Gott ist (berühmtestes Kirchenlied Luthers), entpuppt sich als innen hohl und erinnert an ein Kinderspielzeug. Das »Führerhaus« ist tatsächlich die Fahrerkabine eines Spielzeuglastwagens. Themen, die als heikel angesehen werden und an gesellschaftliche Abgründe rühren (Unglaubwürdigkeit der Kirchen, Neonazismus etc.), werden von dem Künstler so hintergründig gebrochen, dass der Betrachter erst nachdem er gelacht hat ganz erfasst, wie tiefgründig, um nicht zu sagen chirurgisch präzise, sie entlarvt werden.

Die Ausstellung »motiv: architektur« fasst 15 künstlerische Positionen zusammen sowie die Installation der Gruppo Falleristi. Sie gliedert sich damit ein in den »Architektursommer Rhein-Main« und macht erlebbar, auf welch vielfältige Weise dieses Thema in der zeitgenössischen Kunst präsent ist.


Stefanie Bickel,
Wiesbaden, Juli 2011





Ines Doleschal: »Treppe No. VIII«, Acryl auf Nessel, 25 x 30 cm, signiert verso, 2010
(Foto ©Ines Doleschal)


Hermann Weber: »Casa Piccola«, Bronzeguss massiv (Auflage je 5), je ca. 10 x 8 x 3,5 cm, 2011
(Foto ©Jürgen Gross, Karlsruhe)


Christine Erhard: »Der Bürobau«
Lambdaprint hinter Acryl, 120 x 98 cm, 2008
(Foto ©Christine Erhard)


Gruppo Falleristi AKKT: »Der Sommer der Moderne« (Ausschnitt), Installation im Künstlerverein Walkmühle, Wiesbaden, 2011
(Foto ©Grupo Falleristi AKKT)


Werner Pokorny: »Box IV«, Corten-Stahl, 26,5 x 39,5 x 16,5 cm, Auflage 7+1, 2008
(Foto ©Werner Pokorny)


Christiane Erdmann & Karim Teufel: »Zweiraumwohnung«, Collage/Installation im Künstlerverein Walkmühe, 435 x 745 cm, 2011
(Foto ©Sabrina Müller, Wiesbaden)