»Fluchten«
9. Themenausstellung in der Walkmühle
Text: Wulf Winckelmann
So unterschiedlich die Menschen sind, so vielseitig sind ihre Fluchtmöglichkeiten. Das Thema »Fluchten« bietet in so spannender Weise einen Spiegel unseres gesellschaftlichen Daseins, dass eine Auseinandersetzung unter künstlerischen Aspekten lohnend erscheint. Inhaltlich anknüpfend an die Ausstellung "Idyll" im Jahr 2007 und nach insgesamt acht Schwerpunktausstellungen seit 2004 wird mit der Ausstellung "Fluchten" im Künstlerverein Walkmühle erneut ein komplexes, hoch aktuelles und damit gesellschaftlich relevantes Thema in den Mittelpunkt der Kunstbetrachtung gestellt.
Glücklicherweise sind eher wenige von uns bisher in die Situation geraten, direkt in das Mündungsrohr eines Panzergeschützes blicken zu müssen. Für die Generation unserer Eltern, mehr noch für einen erheblichen Teil der heutigen Weltbevölkerung ist das persönliche Erleben von Krieg und Gewalt jedoch eine überaus präsente und prägende Lebenserfahrung. Nahost, Zentralafrika oder Afghanistan die Liste der Länder ist lang, in denen Krieg und Bürgerkrieg, Völkermord, Staatsterror und Repression auf der Tagesordnung stehen. Aber auch Erdbeben, Dürren und Flutwellen suchen die Menschen heim. All diesen Katastrophen ist gemein, dass sie immense Flüchtlingsbewegungen zur Folge haben. Niemals waren weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie heute; sei es vor natürlicher oder menschengemachter Gewalt.
Vielleicht ist es das, woran wir zuerst beim Thema Flucht denken: An Fernsehbilder von Auffanglagern und provisorischen Zeltstädten, belagerte Botschaftsgebäude, endlose Flüchtingsströme heimatlos gewordener Menschen, zu Fuß unterwegs, oft mit nichts bepackt außer ihrem nötigsten Hab und Gut oder gerade mal dem, was sie am eigenen Leib tragen. Vielleicht ist es daher konsequent, wenn die von der Kuratorin Christiane Erdmann konzipierte Themenausstellung ihre Besucher mit jenen Werken empfängt, die die gewaltbedingten Aspekte von Flucht zeigen: Der bemalte Panzer von Michael Fischer-Art und die aus Lumpen zusammengesetzten 61 »Flüchtlinge« der mexikanischen Künstlerin Helen Escobedo symbolisieren geradezu exemplarisch die Ursache und Wirkung von Gewalt. Interessant bei der ersten Arbeit ist sicher die bunte Bemalung des Kriegsgeräts und seine Betitelung als »Friedenspanzer«, denn in der dadurch vollzogenen Entschärfung und Verharmlosung liegt ein weiterer zentraler Aspekt des Fluchtthemas, die Flucht vor der Realität in eine harmlosere, bessere Welt.
Aus gutem Grund ist die neunte Schwerpunktausstellung im Künstlerverein Walkmühle mit der Pluralform des Begriffs Flucht betitelt, denn die Facetten des Themas sind tatsächlich vielfältig. Das Wort Flucht selbst kommt von Fliehen, und etwas das flieht, entfernt sich. Wenn wir vor etwas flüchten, denken wir zunächst an körperliche Bewegung aber im übertragenen Sinn äußert sich Flucht oft auch in einem rein psychischen Verhalten. Menschen flüchten nicht nur vor Hungersnöten und Feinden, sondern oft vor ganz persönlichen scheinbar weniger existenziellen Problemen: den Anforderungen des Alltags etwa, vor einer Verantwortung oder gar vor sich selbst.
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