Über die Ausstellung "Idyll"
Mit dem Thema »IDYLL« präsentiert der Wiesbadener Künstlerverein Walkmühle seine nunmehr siebte Schwerpunktausstellung. Das Konzept der monothematischen Ausstellungen in der Walkmühle entstand 2003 mit dem Ziel, zu jeweils einem inhaltlichen Schwerpunkt möglichst zahlreiche und unterschiedliche Künstler und deren Positionen in einer Ausstellung zusammenzubringen. Waren es in den vergangenen Jahren eher Materialien und Werkstoffe wie »Papier« und »Glas«, oder Elemente wie »Feuer« und »Wasser«, die als Themen für die Ausstellung dienten, so nimmt sich die neue Ausstellung »Idyll« erstmals eines inhaltlich komplexeren Themas an, und mit 38 Künstlern und Künstlergruppen aus dem In- und Ausland ist auch die Zahl der Aussteller so hoch wie nie zuvor.
Wie in den beiden vorangegangenen Jahren wurden die Teilnehmer der Ausstellung teilweise über eine bundesweite Ausschreibung gewonnen und ausgewählt, zum anderen Teil gezielt kuratiert. Die bewusste Gegenüberstellung der Werke von unbekannteren und namhaften Künstlern hat sich bei den letzten Schwerpunktausstellungen als sehr fruchtbar und interessant erwiesen. Nachdem in den letzten Jahren international bekannte Künstler wie Eduardo Chillida, Franz Gertsch, Fabrizio Plessi oder Bill Viola mit ihren Werken in der Walkmühle zu Gast waren, gelang es der Kuratorin Christiane Erdmann auch dieses Mal wieder, international renommierte Künstler wie zum Beispiel die Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist, Wolfgang Ellenrieder, Moritz Götze oder den aus Polen stammenden Kanadier Zbigniew Rybczynski für eine Teilnahme an »Idyll« zu gewinnen.
Schon der Titel der von Pipilotti Rist in der Walkmühle gezeigten Videoarbeit ist in gewisser Weise beispielhaft für den Themenkomplex der Ausstellung: »Als der Bruder meiner Mutter geboren wurde, duftete es nach wilden Birnenblüten auf dem braungebrannten Sims.« Tatsächlich scheint bereits mit der Geburt des Menschen, seinem wie man in Rists Video sehen kann blutigen Ausgestoßenwerdens in die Welt, eine permanente Sehnsucht nach der soeben verlorenen Geborgenheit einzusetzen. Der Mutterschoß und das Paradies bilden vielleicht die entscheidenden Koordinaten, zwischen denen sich unser Leben abspielt; und da wir in den Ersten nicht zurückkönnen, wenden wir uns notgedrungen dem Zweiten zu. Der Haken am Paradies ist allerdings, dass es zumindest nach gemeinhin verbreiteter Auffassung nur um den Preis des Lebens selbst erreicht werden kann. Und so gleicht unser irdisches Dasein zwischen Geburt und Tod einem einzigen und anhaltenden Sehnsuchtszustand, einer rastlosen Suche nach der heilen Welt.
Zu ungewiß erscheint uns jedoch das jenseitige Versprechen, und der Mensch wäre nicht Mensch, würde er nicht sicherheitshalber schon zu Lebzeiten einen Teil vom Paradies abhaben wollen, und sei es auch nur ein kleiner.
Die Idylle ist nichts anderes als das zu Lebzeiten selbst geschaffene Paradies auf Erden. Kaum der (im besten Falle) behüteten Kindheit entwachsen, beginnt Unsereiner sein Leben lang an der Etablierung seiner persönlichen Idylle zu arbeiten, oft mit rührender Hingabe. Darin liegt etwas allzu Menschliches, und wenn man das Pathos beiseite lässt, vielleicht sogar etwas Schönes.
Manch einer findet sein Idyll auf einer Picknickdecke mitten in der »Mutter Natur«, andere müssen jahrelang zimmern und bauen, ehe sie Einzug in ihr persönliches Paradies halten können.
Immer scheint die Idylle jedoch ein Sinnbild des Lebenswerten, vielleicht ein Wert an sich zu sein. Sie bietet ein Ziel und Orientierung, schafft Heimat und Verankerung in der Hektik und Unübersichtlichkeit unseres Daseins.
Man könnte sagen, unser Leben ist eine kurze Autobahn zwischen Geburt und Tod, und die kleinen selbst geschaffenen Idyllen sind deren Rastplätze. So allerdings sehen sie dann freilich auch oft aus: nämlich alle gleich. Das Idyll mag eine ganz und gar private und persönliche Angelegenheit sein (so privat, dass sie gerne von Zäunen und Mauern umgrenzt wird), aber sie ist alles andere als individualistisch. Das kann man schnell in der reihenhausgewordenen Manifestation des »home sweet home« erkennen, oder an den scharf gestutzen Rasenkanten der Schrebergartensiedlungen. Wenn die Blumenrabatte zur eigenen Scholle wird, zeigt sich eklatant die geistige Einfalt und Banalität unserer Wünsche und Sehnsüchte, und oft auch deren erschreckende Lächerlichkeit. Dazu braucht es nicht einmal einen Gartenzwerg. Allein ihre Gleichförmigkeit und Masse lassen die selbstgeschaffenen Idyllen schnell zum ästhetischen Alptraum werden, und hinter so manchem vermeintlichen Paradies öffnen sich plözlich tiefe Abgründe des menschlichen Daseins.
In diesem Spannungsbogen zwischen Sehnsucht und Banalität liegt vielleicht der besondere Reiz für eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Idylle. Auf kritische und ironische, zuweilen auch rein ästhetische Weise gewährt diese siebte Themenausstellung in der Walkmühle neue Einblicke in ein zutiefst menschliches Thema.
Text: Wulf Winckelmann, Fotos: Copyright Bei den Künstlern
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